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    Der Lauf deines Lebens: Oder warum deine Bestzeit unwichtig ist

    Lesezeit: ca. 4 Minuten

    Du jagst jede einzelne Sekunde und fuckst wochenlang dein ganzes Umfeld ab, wenn’s mal nicht so läuft? Du bist focused bis in die Haarspitzen und kennst keine Verwandten, sobald es ernst wird? Cool.

    Aber: Du lebst, um zu laufen und läufst nicht, um zu leben. Sei froh.

    Laufen. Immer weiter.

    Vor einiger Zeit habe ich eine sehr persönliche und berührende Reportage gelesen, in der ein vor dem Krieg flüchtender, junger Mensch von seinen Erfahrungen während der Flucht berichtet hat. Er erzählte von Verlust, Erschöpfung und Todesangst. Er kam aus Syrien und war mittlerweile in Deutschland.

    Auf die Frage, welche Unterschiede zu Syrien ihm, mittlerweile einige Wochen hier, in Deutschland am meisten aufgefallen sind, sagte er sinngemäß:

    Hier in Deutschland laufen die Menschen einfach nur zum Spaß. In meiner Heimat laufen wir, um nicht zu sterben.

    Dieser Satz ist mir bis heute im Kopf geblieben. Und dieser Satz entwickelt in wenigen Worten eine Gewalt Kraft, Dinge auf der Stelle zurecht zu rücken. Wir laufen hier nur zum Spaß. Und wirklich nur zum Spaß. Das sollte man nie vergessen.

    Solche Geschichten passieren jeden Tag und überall auf der Welt. Das sehen wir aktuell quasi direkt vor unserer Haustür. Ich merke im Moment, wie sich bei vielen Menschen das Thema medial nun langsam etwas abnutzt. Der Fokus verschiebt sich wieder auf das eigene Umfeld. Das ist vermutlich auch ok und ganz normal – nur sollte man das, was um einen herum passiert, trotzdem nicht aus den Augen verlieren.

    Das Ziel ist immer einen Schritt entfernt.

    Keine Frage, von Zeit zu Zeit neue Bestzeiten zu knacken ist schon cool. Wenn ich grad gesund bin, packt’s mich da genau wie viele Andere auch. Zu Beginn meiner Laufkarriere hab ich mir im Kopf Ziele und Zeiten gesetzt, die ich gern mal erreichen würde. Irgendwann, wenn ich soweit bin.

    Manche ganz realistisch, wie für nen Starter zum Beispiel klassisch 10 Kilometer in unter 60 Minuten. Manche, 15 Kilometer in ner Pace unter 4:30 oder n Halbmarathon in 100 Minuten eindeutig ambitioniert für die Zukunft. Die CED muss ja auch immer mitspielen ne.

    All diese Zeiten und Ziele hab ich seit einigen Jahren erreicht. Und ich bin wirklich zufrieden mit mir selbst. Ich hab auch nicht jedes Mal nach dem Erreichen sofort neue Ziele festgelegt. Mein Fokus liegt nicht auf den PBs. Sie sind eher n Topping, wenn’s grad passt. Ich glaube übrigens, dass ich genau deshalb meine Ziele erreicht hab. Ich hab keine meiner Bestzeiten geplant. Oder sie gejagt. Sie passierten einfach, als alles stimmte. Vielleicht hätte ich hier und da noch n paar Sekunden rausholen können. Vielleicht aber auch nicht.

    Ich finde, sich immer wieder selbst schlagen zu wollen, ist unglaublich trainingsintensiv, aber gleichzeitig leider auch sehr erlebnisarm. Der Tunnel, in den man kommt, wird immer kleiner. Die Ausbeute an schönen Momenten steht absolut in keinem guten Verhältnis zu den Enttäuschungen, die man erlebt. Du trainierst und trainierst, nur um in gefühlt 9 von 10 Versuchen eben doch an deiner PB vorbei zu schlittern.

    Und dann? Trainierst du noch härter und länger und schaffst es im 10. Versuch endlich. Glückwunsch (und das ist ernst gemeint). Das gute Gefühl weicht dann aber leider viel zu schnell der höchstens halbguten Idee, sich weiter verbessern zu müssen. Immer verbessern. Da geht bestimmt noch mehr. Du wirst einfach niemals fertig. Und gleichzeitig entgehen dir viel zu viele coole Momente.

    Wer gegen die Zeit läuft, hat bereits verloren. Das hab ich mal irgendwo gelesen. Ich weiß auch nicht mehr, wer es sagte, aber es passt wie die Faust auf’s Auge.

    Mach ma halblang.

    Du bist nur 3 Sekunden an einer neuen PB vorbei geschrammt? Und befindest dich deshalb jetzt seit Wochen in einem emotionalen Ausnahmezustand? Mach dich ma locker. Es geht hier nur darum, ob du im „um die Wette laufen“ gewonnen hast. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Du läufst doch eigentlich nur zum Spaß. Nicht vergessen.

    Oder hast du 15 Paar Laufschuhe (die bei deinen jährlichen Laufkilometern vermutlich für die nächsten 10 Jahre reichen sollten), kannst dein 16. Paar aber trotzdem gar nicht abwarten? Gib doch einfach 10 Paar davon an Menschen weiter, die keine Laufschuhe haben, aber gern auch laufen möchten. Dann hättest du immernoch mehr Schuhe übrig, als du für dich selbst brauchst. Und gleichzeitig würdest du Menschen helfen, die sich selbst grad nicht helfen können.

    Dieses grundsätzliche, ewige Vergleichen und besser sein zu wollen als Andere, hat einen nicht zu unterschätzenden negativen Einfluss auf einen selbst und alles um einen herum. Das bemerkt man, wenn man sich die Zeit nimmt und mal genau auf sich selbst schaut. Aber man hat es eben auch selbst in der Hand, daran etwas zu ändern. Macht das 10. Paar Schuhe einen wirklich glücklicher als das 5. Paar, dass das schon nicht geschafft hat?

    Der Kierkegaard.

    „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“

    Søren Kierkegaard

    Recht hat er. Oder ergänzend von seinem Kollegen Montesquieu: Man will nicht nur glücklich sein, sondern glücklicher als die Anderen.

    Alles, was wir in unserer Freizeit tun, machen wir im Grunde aus Spaß. Wir gehen laufen, weil das Wetter schön ist oder wir einfach Zeit und Ruhe dafür haben. Manche gehen auch laufen, um vielleicht wenigstens dann einmal etwas nur für sich zu tun. Wenn etwas nicht funktioniert, bricht die Welt nicht zusammen. Es wird weder gefährlich, noch sollte es ein Grund sein, sich komplett davon runterziehen zu lassen.

    Du hast etwas nicht erreicht? Dann versuchst du es eben nochmal. Oder nochmal. Du hast mehr als eine Gelegenheit. Von Zeit zu Zeit sollte man den Kopf aus seinem Bau stecken und checken, was um einen herum so passiert.

    Du läufst vielleicht um 3 Sekunden. Aber du läufst nicht um dein Leben. Sei froh.

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