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    Eine unsichtbare Erkrankung: „Also krank sieht für mich anders aus“

    Lesezeit: ca. 6 Minuten

    Das ist einer dieser Sätze, bei denen ich mich (mindestens) innerlich gleich auf dem Absatz umdrehe und das Gespräch verlasse.

    Diesem Satz wird gern noch hinterher geschoben „Ich kenn da eine Person, also die ist WIRKLICH krank. Der geht’s richtig schlecht und sie liegt den ganzen Tag im Bett (optional als Trumpfkarte: im Krankenhaus!).“

    Oder es wird ungefragt, dafür aber umso wortreicher, erklärt, warum man es denn selbst mindestens genauso schwer hätte.

    Pro-Tipp Nr.1: Nur, weil es jemand Anderem schlechter geht, bedeutet das nicht, dass es mir dadurch besser geht.

    Eigentlich ist das ganz einfach. Aber in Zeiten, in denen man erwachsenen Menschen erklären muss, wie man sich richtig die Hände wäscht, vielleicht eben auch nicht.

    Der aufgesetzte Blick zu solchen Kommentaren soll vermutlich direkt entwaffnend wirken. Sieht aber leider immer nur etwas leer und auch ein bisschen traurig aus.

    Na los. Reagier schon.

    Und dann: Wird ungeduldig gewartet, dass man etwas sagt. Oder tut. Am besten entschuldigend bis einsichtig, mindestens aber anerkennend, dass man sich ja nun tatsächlich ganz schön anstellt und eigentlich alles nur halb so schlimm ist.

    Vielen Dank für die Aufklärung. Was wär ich nur ohne diese Erkenntnis? Dann bin ich ab jetzt eben einfach fast gesund. Wär hätte gedacht, dass das so einfach ist.

    Meine liebste Reaktion ist aber, wenn ich nur kurz entgegne, dass ich über mich selbst am besten Bescheid wisse und keine (Pseudo-)Ratschläge benötige. Meine Antwort unterbricht dann den (im Kopf schon genau zurecht gelegten, weil immer gleichen) Monolog der anderen Person. Und das scheint ein echter Trigger zu sein und erzeugt Schnappatmung und bebende Nasenflügel.

    Bla Bla Bla.

    Solche Sätze, die (manchmal auch unbewusst aber dennoch irgendwie beabsichtigt) häufig schon beurteilend sein sollen, hört man als chronisch kranker Mensch wirklich oft. Irgendwo kommt immer jemand unter seinem Stein hervor gekrochen, der glaubt, meine persönliche Krankheitsgeschichte besser beurteilen zu können als ich. Und die Ärzte. Nach über 20 Jahren. Alles klar.

    Pro-Tipp Nr.2: Auch wenn sie kostenlos verteilt werden, sind Gratis-Tipps ausgesprochen unbeliebt.

    Es ist ein Phänomen. Diagnose, Befinden und direkt auch die beste Behandlungsmethode geklärt – in nur einer Minute. Durch einen Blick. Und das alles ungefragt. Halleluja.

    Ich habe beim letzten Absatz passenderweise grad die Verkaufsstimme aus dem Teleshop im Ohr. Leider ist das Angebot an Gratis-Tipps nicht streng limitiert. Wie der Nicer Dicer zum Beispiel. Aber der taugt vermutlich auch mehr.

    Ach ja, was mir grad noch einfällt: Die häufigste vorgeschlagene Therapie, um die CED endlich los und gesund zu werden ist übrigens (und das ist jetzt tatsächlich kein Spaß!): Tee.

    Meine Medis kosten pro Monat rund 3.000€ 6.000€ mittlerweile. Und dabei ist die Lösung: Tee. Für 0,69¢.

    Noch Fragen bis hierhin? Nein? Gut.

    Ich, wenn wieder jemand zum Erklären Luft holt

    Wär es nicht so ermüdend, immer wieder in solche Expertengespräche zwangsverwickelt zu werden, könnte ich vielleicht fast drüber lachen.

    Aber Achtung: Lachen darf man über seine Erkrankung ebenfalls am Besten nicht – dann nimmt man sie nämlich nicht ernst genug und macht auch etwas falsch. Überall lauern Fallstricke. Es ist ein Kreuz, sag ich Euch.

    Diese quasi Monologe werden häufig übrigens so geführt, als ginge es darum, dass man am Ende detektivmäßig überführt werden kann, ohne es zu merken. In die Falle getappt. Tja, Mist. Hätte ich mal besser aufgepasst.

    Selten ist man selbst ein guter Maßstab.

    Abgesehen davon, dass es höchst unverschämt und übergriffig ist, zu glauben beurteilen zu können, wie krank ein anderer Mensch ist, sagen solche Kommentare eben auch viel über das monologisierende Gegenüber aus.

    Es ist respektlos und vermittelt vielen kranken Menschen das Gefühl, selbst für Ihre Erkrankung verantwortlich zu sein oder sich für sie rechtfertigen zu müssen. Und das passiert auf eine so unterschwellige und oft auch gemeine Art, die viele Betroffene wirklich an sich selbst zweifeln lässt.

    Eine CED schafft man sich nicht an. Sie ist plötzlich einfach da. Und man wird sie auch nie wieder los. Der Körper greift sich selbst an. Da ist das Letzte, was man möchte, weitere Angriffe von außen.

    Pro-Tipp Nr.3: Meine Erkrankung – meine Regeln.

    Manchmal frage ich mich, was Leute wohl dazu bringt, anderen Menschen direkt so ans Bein zu pinkeln. Vielleicht ist’s das Gefühl, auch endlich mal Recht haben zu wollen. Ein Mal der Starke sein, der das letzte Wort hat? Na herzlichen Glückwunsch. Was biste denn für ne arme Wurst, dass Du Dir dieses Gefühl auf Kosten Anderer holen musst, denen das Leben sowieso schon volle Breitseite eine verpasst hat?

    Ich kann Dir auch mal volle Pulle ins Knie treten. Und dann sagen, dass ich aber einen kenne, der hat sogar nur noch ein Bein und der jammert auch nicht die ganze Zeit und Du musst deswegen jetzt mal nicht so rumheulen.

    Klappt gut? Nicht? Ach.

    Luxus Leute.

    Meistens höre ich aber direkt auf, über solche Situationen weiter nachzudenken, da mir meine Zeit für so einen Blödsinn ehrlich gesagt dann doch zu schade ist. Ich finde es aber schlimm, wenn es Menschen trifft, die vielleicht zu unsicher oder geschwächt, zu erschöpft oder einfach müde sind, um so etwas gleich einen Riegel vorzuschieben.

    Die Leute sollten aufhören, Erkrankungen gegeneinander aufzuwiegen.

    Ey, das ist kein fucking Wettbewerb. Wenn Ihr einen Wettbewerb wollt, dann tretet gegen Euch selber an. Da gibt’s dann schon genug zu tun. Und Ihr geht auf jeden Fall als Sieger vom Platz.

    Hört auf andere Menschen zu bewerten. Ganz besonders, wenn sie in ohnehin schwierigen Lebenssituationen stecken. Das macht kranken Menschen das Leben nur noch schwerer. Try walking in their shoes.

    Freut Euch lieber, wenn Ihr gesund seid. Ihr könnt Freunde treffen, in den Urlaub fahren und schöne Dinge unternehmen, die Euch Spaß machen. Oder eben auch zum Sport gehen. Und das möglicherweise Einzige, was Euch daran hindern könnte, ist Euer Schweinehund.

    Das ist Luxus, Leute.

    Und wenn Ihr spürt, dass Ihr es selbst jeden Tag in der Hand habt, wie Ihr Euer Leben gestaltet, wen Ihr trefft und Eure Entscheidungen eben EURE Entscheidungen und nicht fremdbestimmt sind, dann überlegt noch einmal ganz genau, ob Ihr mit mir tauschen wollt, weil’s mir ja im Grunde auch gar nicht so schlecht geht.

    Oder etwa doch?

    Ich kann all diese Dinge nicht. Zuletzt 2 Jahre lang.

    Ich bin manchmal Monate am Stück so krank, dass ich vielleicht eine Stunde pro Tag vor die Tür kann. Oder zwei. Vielleicht aber auch gar nicht. Und vielleicht siehst Du mich manchmal in genau dieser einen Stunde. Das heißt aber nicht, dass ich dann ja eigentlich für viele Dinge „gesund genug“ wäre, da Du mich ja draußen ertappt hast.

    Es ist nicht alles Gold, was glänzt.

    (das Bild von purem Gold ist in Wirklichkeit auch nur ein Nori-Blatt)

    Es bedeutet nur, dass Du lediglich einen kleinen Teil von mir siehst. Du kennst nicht meinen Alltag und auf wie viele Dinge, die für Dich völlig normal sind, ich jeden Tag verzichten muss. Und zwar nur, damit es mir in schweren Zeiten vielleicht wenigstens etwas besser als sehr schlecht geht. Denn bereits das ist manchmal schon eine Erleichterung, auch wenn dieser Teil häufig schwer zu vermitteln ist. Aber wenn der Zustand 2/10 ist, dann fühlt sich eine 4 manchmal kurz an wie eine 8.

    Ich esse, worauf ich grad Lust hab? No.

    Ich steige ins Auto und fahre einfach los, weil das Wetter so schön ist? No.

    Ich geh einkaufen, weil nichts mehr im Haus ist? No.

    Nichts davon. Keine vermeintliche Kleinigkeit passiert „einfach so“.

    Aber hey, das ist ok. Das ist mein Leben. Jedes Leben ist anders und trotz Allem kann ich mich jeden Tag für tausend Kleinigkeiten begeistern.

    Ein Experiment.

    Zum Schluss nimm Dir mal einen Moment und stell Dir so ein Leben, wie ich es führen muss, einmal für Dich vor.

    Stell Dir vor, auf wie viele Dinge Du von heute auf morgen verzichten müsstest.

    Was bleibt von Deinem Leben, wie Du es kennst und magst, dann noch übrig?

    Ist es jetzt immernoch „gar nicht so schlimm“ eine CED zu haben?

    Das hab ich mir gedacht.

    Jeder struggled mal, aber gemeinsam klappen Dinge einfach besser als allein. Seid freundlich zueinander. Das ist doch eigentlich gar nicht so schwer.

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