Dein Name

    Deine E-Mail-Adresse

    Worum geht's?

    Startseite » GPS-Art 2: Die Gitarre

    GPS-Art 2: Die Gitarre

    Lesezeit: ca. 5 Minuten

    Mein Telefon zuckt. Eine Nachricht. Es ist quasi noch mitten in der Nacht. Wer kann um diese Uhrzeit noch was von mir wollen?

    Es ist S. und sie schreibt:

    Hier kommt deine neue Aufgabe (in Anlehnung an unsere glorreiche Band-Zukunft) – Laufe eine Gitarre

    (Anmerkung: Es ist noch nicht ganz 9 Uhr)

    Sofort bin ich hellwach. Ok, stimmt so natürlich nicht ganz. S. schreibt zwar tatsächlich um kurz vor 9, gelesen hab ich die Nachricht aber erst um 12. Allerdings packt mich die Aufgabe sofort.

    Eine Gitarre find ich cool. Es ist eine Challenge mit nem Hintergrund – S. und ich haben vor einigen Jahren beide mal gleichzeitig begonnen, Gitarre zu spielen. Und hatten direkt einen Bandnamen für unsere erste gemeinsame Tour. Man braucht große und unmögliche Träume. Und was soll schon schiefgehen?

    Füße hoch und los.

    Mit nem Kaffee in der Hand (und den Füßen auf der Fensterbank), schaue ich abwechselnd auf mein Telefon und aus dem Fenster. Ich mag diesen Platz wirklich. Der Tag kann noch so kacke sein – 10 Minuten in Ruhe dort zu sitzen, sind wie ein kleiner Urlaub. Der Platz ist wie (m)eine klitzekleine Insel, in einer viel zu lauten Welt.

    A little piece of peace

    Ich checke die Stadtviertel. Wiepenkathen, Hohenwedel, Schölisch. Nix. Kann ja eigentlich nicht sein. Eine Gitarre zu finden ist natürlich schon ne Herausforderung, aber bestimmt auch nicht unmöglich. Wenn man lange genug sucht, findet man echt (fast ) alles. Wie damals bei der Katze. Es gibt tatsächlich nur eine Sache, die auch ich nicht hinbekommen hab – aber das weiß ich zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht, sondern erst in einigen Wochen. Ich scanne weiter die Karte.

    Und ooh, was haben wir denn da? Eine Gitarre. Und sogar mit nem Verstärkerkabel. Perfekt.

    Der Sündenfall.

    Fündig werde ich im Altländer Viertel. Ich weiß gar nicht, ob es offiziell immernoch so heißt. Vor Jahren hat Stade da mal alle Straßen umbenannt – vermutlich, um das Image n bisschen aufzupolieren. Die alten Straßennamen waren definitiv verbrannt.

    Manche Häuser haben nen neuen Anstrich bekommen, es gibt mittlerweile auch Einfamilienhäuser hier, ne Montessori-Schule und allerlei Oberflächenkosmetik. Ohne Grund verirrt sich allerdings trotzdem immernoch kaum jemand hierher.

    Das Viertel hat den vermutlich schlechtesten Ruf der ganzen Stadt. Es kursieren die wildesten Geschichten, was dort jeden Tag alles passieren würde. Allerdings glaube ich, dass die schlimmsten Geschichten häufig von Menschen stammen, die noch nie nen Fuß dorthin gesetzt haben. Schneller als man gucken kann, wird sowas dann n Selbstläufer und jeder noch so große Blödsinn macht die Runde.

    Das Hamburger Abendblatt hat die Geschichte des Altländer Viertels hier zusammengefasst. Lesedauer: 5 Minuten. Lohnt sich.

    Klar, genau wie in anderen Städten wurden in solchen (als Muster-Quartiere geplanten) Vierteln von Anfang an viele Fehler gemacht. Vermutlich, weil solche Ideen am Reißbrett entstanden sind und die echten Menschen außen vor gelassen wurden. Theoretische Spielereien mit viel zu wenig Bezug zur Wirklichkeit.

    Als das Ganze irgendwann dann kollabiert ist, hat die Stadt Stade allerdings keine gute Figur abgegeben und das Viertel gefühlt sich selbst überlassen.

    Unfair ist der Ruf eines „Problem“-Viertels vor allem für die Menschen, die dort leben. Du kommst direkt in eine Schublade, noch bevor du das erste Wort gesagt hast – und wirst argwöhnisch angeschaut. Kann ja irgendwas nicht mit dir stimmen ne. Warum solltest du wohl sonst dort leben.

    Woher ich das weiß? Weil ich als Kind selbst dort mal ne zeitlang gelebt hab. Stimmen die Vorurteile, die viel zu viele Menschen übers Viertel haben? Manche ja – viele nicht. Stimmt es, dass man als Bewohner alle Vorurteile trotzdem als großen Stempel mitten auf die Stirn bekommt? Absolut. Ob sich das jemals ändern wird? Hoffentlich.

    Ein Blick in den Vorgarten.

    Zurück zur Challenge. Details sind überaus wichtig beim GPS-Running. Und so ist zum Beispiel für die Mechaniken der Gitarre voller Einsatz gefragt und es geht bei den Leuten auch mal in die Einfahrt. Oder die Vorgärten. Naja, das eine, was man will – das andere, was man muss ne. Hunde treffe ich dieses Mal aber nicht.

    Für den Gitarrenhals klettere ich über den Zaun eines Spielplatzes, sonst würde der Hals n Knick bekommen. Von außen betrachtet sieht das vermutlich schon merkwürdig aus, da ein paar Meter daneben ein Durchgang ist. Aber man darf bei sowas nicht allzu zimperlich sein. Außerdem macht’s ja auch Spaß, auf unvorhergesehene Dinge zu stoßen.

    Abstecher in die Vorgärten

    Auf meinem Weg sehe ich auch viele Ecken aus meiner Zeit als Kind in diesem Viertel wieder. Mir fallen Dinge von früher ein und Erinnerungen graben sich wie ein Zombie an die Oberfläche. Ich bin überrascht, wie viel sich hier verändert hat. Und gleichzeitig auch nicht verändert hat.

    Ich hab als Kind in annähernd fast jedem Stadtteil von Stade gewohnt. Manche davon sehen auch nach über 30 Jahren im Grunde exakt so aus wie damals. Und manche erkenne ich kaum wieder. Es ist gut, wenn Dinge sich ändern. Und immer merkwürdig bis verdächtig, wenn alle Energie darauf verwendet wird, dass alles ja so bleibt, wie es schon immer war. Da kommt nie was Gutes bei raus.

    Der letzte Akkord.

    Zum Abschluss laufe ich noch einmal durch nen Kreisverkehr und damit ist auch diese (nicht ganz so einfache) Challenge geschafft. Der Weg nach Haus ist gleichzeitig das Verstärkerkabel – eine nette Draufgabe sozusagen.

    Ach ja, Gitarre spiele ich übrigens immer noch leidlich. Dafür aber mit Begeisterung. Meistens ist das auch wichtiger und der Spaß schlägt da eindeutig das Können. Die GPS-Gitarre war als Gesamtpaket aus detektivischer Suche, Planung und Erkundungslauf auf den Spuren von früher schon was Besonderes. Hat mir gefallen.

    Apropos und um nochmal auf die Hunde zurück zu kommen: Ist es bei euch auch so, dass ihr am liebsten jeden Hund, den ihr trefft, anfassen wollt? Hunde will ich einfach streicheln und fragen, wie es ihnen geht und ob sie einen schönen Tag hatten. Kann man natürlich nicht machen, genauso wie man auch nicht einfach andere Menschen anfasst. Bei Katzen ist das alles schon einfacher.

    Ey Kopenhagen, du bist dran: Lauf einen Vogel!

    Schreibe einen Kommentar

    Cookie Consent mit Real Cookie Banner