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    Every Single Street: Kamera läuft

    Lesezeit: ca. 9 Minuten

    Ton läuft. Und Action.

    Do·mi·no·ef·fekt / Dóminoeffekt / Substantiv, maskulin [der] durch ein Ereignis ausgelöste Folge von weiteren gleichartigen oder ähnlichen Ereignissen

    Motion creates emotion. Und lässt manchmal völlig unvorhergesehene Dinge passieren. Der NDR hat mich besucht, um ein Portrait über mich, meine Laufabenteuer und meine Erkrankung zu drehen.

    Es ist ein wirklich unterhaltsamer Tag mit interessanten Menschen, einer Drohne und einem exklusiven Einblick, wie es hinter den Kulissen der bunten Welt des Fernsehens so läuft.

    Willkommen in meinem Leben.

    Es passiert ja nicht jeden Tag, dass man ein Fernsehteam bei sich zu Haus hat. Und so sind gefühlt plötzlich überall Menschen, hier ein Kameramann, dort ein Tonmann. Stative, Lampen, Kabel und Mikrofone, in der Küche und dem Wohnzimmer – überall ist Equipment aufgebaut.

    Und mittendrin: stehe ich und erzähle meine Geschichte. Hereinspaziert! Die Garderobe ist rechts. Die Schuhe können sie anlassen.

    Wir treffen uns um 11 Uhr vormittags. Das ist ne gute Zeit, um so etwas zu starten find ich. Von Beginn an ist es eine entspannte Stimmung, die sich über den ganzen Tag trägt. Ich gebe dem Team (und allen, die sich den Beitrag anschauen) einen kleinen Einblick in mein Leben als Abenteuersportler – und als Betroffener einer unsichtbaren Krankheit. Alles ist miteinander verbunden, denn es gibt das eine nicht ohne das andere. Ich bin kein Fake-Fitness-Influencer – meine Geschichte ist echt, mit Ecken und Kanten.

    no fake | no filter

    Am Nachmittag geht’s raus. Rein in meine Laufschuhe und auf die Straße. Da bin ich am liebsten. Und was für ein Glück, funktioniert das an diesem Tag auch wunderbar. Nicht nur, dass das Wetter schon fast wie ein echter Frühlingstag daher kommt. Nee, ich bin auch symptomfrei und fühle mich gut. Sogar die Haare sitzen wie ne Eins. Das ist immer die wichtigste Vorraussetzung, wenn ich etwas vorhabe. Also nicht die Haare, sondern was mein Körper zu meinen Plänen sagt. Aber schaden kann das mit den Haaren ja auch nicht ne.

    Alles auf Position.

    Es sind 5° – aber die Sonne scheint. Das reicht für kurze Laufklamotten. Ich hab mittlerweile auf lange Oberteile auch echt keinen Bock mehr. Für mich als Sommermensch sind 6 Monate norddeutsches Schmuddelwedda wirklich genug.

    Notiz an den Frühling: Kann losgehen jetzt!

    Wir sind mit dem Equipment an verschiedenen Spots unterwegs. In meinem Viertel zum Beispiel, aber auch am Rande der Altstadt. Stade hat da ja schon schöne Ecken. Und wir treffen unterwegs auf eine Menge Menschen, mit denen ich häufig ins Gespräch komme. Wenn am Straßenrand ne professionelle Kamera aufgebaut ist, zieht das schon n bisschen Aufmerksamkeit auf sich. Ein älteres Paar erkundigt sich, ob wir wegen der Hunde da seien, die in scheinbar fast skandalöser Art und Weise rotzfrech überall hin k*#!en. Nope, sorry. Vielleicht ja beim nächsten Mal.

    I’m watching you

    Es gibt übrigens ein Phänomen, das scheinbar alle Zeiten überdauert: Menschen, die (sobald sie eine sehen) aus dem Hintergrund auffällig unauffällig in die Kamera winken. Das kannte ich bisher nur aus alten Fernsehsendungen. Anscheinend erfreut es sich aber immernoch großer Beliebtheit. Manche Szenen wiederholen wir deswegen. Das sind Dinge, die passieren halt einfach, wenn man etwas aus dem echten Leben zeigt. Ich find’s auch nicht schlimm, eher muss ich selbst darüber schmunzeln.

    Es macht wirklich Spaß, auch mal n Blick hinter die Kamera werfen zu können. Wie entstehen solche Beiträge? Auf welche Dinge sollte man achten? Und was vermeiden? Auf viele Fragen, die ich mir vorher nie gestellt habe, bekomme ich jetzt aus erster Hand eine Antwort.

    Augen zu und durch.

    Die Gelegenheit ist günstig und so ist das Fernsehen live dabei, wenn ich mir meine monatliche Stelara-Spritze gebe. Das ist ein Teil der Erkrankung, den die Öffentlichkeit sonst in dieser Form nicht mitbekommt. Manch einer schaut lieber weg, doch so schlimm isses eigentlich gar nicht. Kaum ist die Nadel drin, bin ich auch schon fertig.

    Stelara ist ein Antikörperpräparat und wird mir genau so lange helfen, bis mein Körper Antikörper gegen die Antikörper bildet. Im Schnitt geschieht das ungefähr alle 3-4 Jahre. Dann beginnt die Suche nach einem neuen Medikament.

    Im Laufe der letzten 23 Jahre hab schon zahlreiche Mittel in allen möglichen Varianten hinter mir. Trial and Error quasi. Spritzen und Tabletten, aber zum Beispiel auch Infusionen. Viele Medis haben gut, manch andere nicht geholfen. Alle haben nicht zu unterschätzende Nebenwirkungen – und doch überwiegt bei mir immer die Zuversicht, gut für die Zukunft aufgestellt zu sein.

    Im Gegensatz zur Gelegenheit ist Stelara übrigens alles andere als günstig: Fünfeinhalbtausend Euro in 10 Sekunden – und das alle 4 Wochen. Ob eine CED etwas Ernstes ist? Vermutlich schon.

    Faktor Hundert.

    Wie würdest du deine Erkrankung für Außenstehende und Menschen, die noch nie von einer CED gehört haben, am besten und in einem Satz beschreiben?

    Gute Frage. Es ist gar nicht immer leicht, alles in wenigen Sätzen, die am besten jede Person sofort nachvollziehen kann, unter einen Hut zu bekommen.

    Ich sitze vor der Kamera, überlege kurz und antworte sinngemäß: (M)eine CED ist wie ne Magen-Darm-Grippe x 100. Dieser Vergleich schafft im ersten Moment schon mal einen ungefähren Anhaltspunkt. Und wird auf Anhieb von allen verstanden. Im weiteren Gespräch würde ich diesen Satz allerdings noch etwas ergänzen. Und zwar ungefähr so:

    Es ist wie ne Magen-Darm-Grippe x 100 Allerdings dauert diese dann nicht 2-3 Tage, sondern 2-3 Wochen (wenn ich Glück habe), 2-3 Monate (wenn es normal läuft) oder auch unglaublich lange 2 Jahre (wie beim letzten sehr schweren Krankheitsschub).

    Es ist wie ne Magen-Darm-Grippe x 100 Allerdings kommt sie nicht allein. Ist ja auch nicht verwunderlich, denn in meinem Körper wütet eine riesige Entzündung. Sie bringt ihren guten Kumpel mit: Schmerzen. Und zwar kein Zwicken oder Unwohlsein, sondern richtig echte Schmerzen, die einen buchstäblich in die Knie zwingen können.

    Es ist wie ne Magen-Darm-Grippe x 100 Allerdings greifen die Einschränkungen durch meine Erkrankung in jeden Bereich meines Lebens ein – und das zu jeder Zeit. Ich kann nicht essen, was und wann ich es möchte. Ich fahre nicht spontan ein paar Tage weg, ohne vorher für den Worst Case zu planen. Und ich verbringe keinen einzigen Tag in den letzten 23 Jahren ohne eine Handvoll Medikamente.

    Als ich über den Fernsehbeitrag des NDR und die Interviews, die ich in den letzten Wochen verschiedenen Zeitungen im ganzen Land gegeben habe nachdenke, überlege ich kurz, wann ich eigentlich das letzte Mal komplett ohne Schmerzen war (das sollte für alle Menschen übrigens ein normaler Referenzzustand sein). Darüber habe ich tatsächlich lange nicht mehr nachgedacht.

    Die Antwort lautet: Ich weiß es ehrlich gesagt gar nicht mehr. Ich bin nie ganz ohne Schmerzen. Ich hab mich daran ganz einfach gewöhnt im Laufe der Jahre. Bin ich deswegen unglücklich? Nein, auf gar keinen Fall. Ich mache das Beste aus jedem Tag. Denn meistens steckt auch in nem möglicherweise schlechten Tag viel mehr Gutes, als man im ersten Moment vermuten würde.

    Up and away.

    Bei verschiedenen Aufnahmen hab ich einen ganz persönlichen Begleiter an meiner Seite. Eine Drohne fliegt abwechselnd mal vor mir, hinter oder auch neben mir her. Und ein Mal laufe ich fast direkt in sie hinein. So Drohnenaufnahmen sind schon echt was anderes und bieten einem völlig neue Perspektiven. Zwischendurch denke ich, dass ne Drohne, die mir automatisch folgt, schon irgendwie ganz cool wär, wenn ich mal im Gelände unterwegs bin.

    An technischen Spielereien hab ich ja schon immer Spaß. Ich kann mich stundenlang damit beschäftigen und probiere alles ganz genau aus. Es ist einfach total spannend, neue Dinge kennenzulernen – genauso wie neue Laufstrecken.

    Laufbuddies

    In der Sonne ist es inzwischen sogar fast ein bisschen warm. Ich denke dabei an den letzten Frühling, der in meiner immer blasser werdenden Erinnerung allerdings bereits viele Jahre zurück zu liegen scheint. Gelegentlich überkommt es mich während der Dreharbeiten fast, einfach weiter zu laufen. Bis ich einen mir noch unbekannten neuen Ort entdeckt hab. Aber das geht heut nicht, wir haben schließlich noch ein bisschen was vor.

    Mein ganz persönlicher Tipp: Schaut euch eure Stadt doch auch einfach mal ein bisschen genauer an – in Laufschuhen, zu Fuß oder mit dem Rad – völlig egal. Denn eine Stadt ist immer auch das, was man daraus macht.

    Nach verschiedenen Szenen steht die Drohne über dem Burggraben, der die Stader Altstadt umschließt – in 30 Metern Höhe. Hören tut man sie dort nicht mehr. Aber sie bietet einen großartigen Blick über Stade. Nach Every-Single-Street-Stade kenne ich ja wirklich jeden Winkel der Stadt – von oben ist’s allerdings auch für mich nochmal ein ganz neuer Blickwinkel.

    Ein schmaler Grat.

    Apropos Eine unsichtbare Erkrankung beschreiben: Das ist immer eine Gratwanderung. Einerseits nicht zu untertreiben und eine CED dabei wie ne Allerweltsgeschichte wirken zu lassen, denn das isses auf gar keinen Fall. Andererseits aber auch nicht zu drastisch nicht übertrieben zu klingen, so dass alle denken Das kann in Wirklichkeit bestimmt so schlimm ja gar nicht sein. Über die Jahre hab ich mit vielen CEDlern gesprochen, die an solchen Erklärungsversuchen manchmal fast verzweifeln.

    Denn eigentlich ist genau dieser Gedanke, nicht zu dramatisch klingen zu dürfen, häufig bereits eine ganz schöne Belastung für viele Betroffene und kostet wirklich viel Energie. Es vermittelt den Erkrankten nicht selten das Gefühl, dass sie tatsächlich übertreiben in der Bewertung ihrer Krankheit, im Vergleich zu anderen schweren Erkrankungen und den täglichen Einschränkungen, die sie durch eine CED erleben. Obwohl das natürlich überhaupt nicht der Fall ist – man kennt seinen eigenen Körper schließlich am besten.

    Eine CED ist ein massiver Eingriff ins Leben, die Selbstbestimmung und die persönliche Freiheit.

    Wenn euch etwas interessiert oder ihr nicht ganz sicher seid, wie ihr mit manchen Dingen umgehen sollt, fragt am besten einfach ganz offen danach. Ein Gespräch ist immer der beste Weg, um voneinander mehr zu erfahren und sich gegenseitig besser zu verstehen.

    Ich habe das große Glück, mit einer ausgeprägten Resilienz und großem Optimismus bedacht zu sein, so dass mich solche (häufig unnötigen) Diskussionen über meine Erkrankung persönlich nicht berühren. Wenn ich merke, dass mein Gegenüber mich nicht ernst nimmt (ich die Situation aber auch nicht easy verlassen kann), biete ich gelegentlich an, dass wir gern einmal für 1 Woche die Rollen tauschen können. Will dann aber irgendwie auch nie jemand. Tja, wieso bloß nicht?!

    Und Cut.

    Nach rund 5 Stunden ist alles im Kasten. Alle Szenen sind gedreht, Gespräche geführt, die Off-Töne eingesprochen. Nach zahlreichen Zeitungsinterviews und meinem Medienausflug als Podcasthost, ist es eine interessante Erfahrung, auch mal einen Blick in diese, bis zu diesem Tag für mich noch unbekannte Welt des Fernsehens werfen zu können.

    5 Stunden für 3 Minuten Film – und doch vergeht dieser Tag wie im Flug. Es ist eine gute Gelegenheit, einen kleinen Einblick in meine eigene Geschichte geben zu können. In das Leben mit einer unsichtbaren und außergewöhnlichen Krankheit, der absoluten Leidenschaft zu laufen und dem Wunsch, noch viele weitere Abenteuer zu erleben.

    Und ganz nebenbei daran zu erinnern, dass die wirklich schönen Dinge gar nicht immer am anderen Ende der Welt passieren – denn manchmal sind sie bereits die ganze Zeit da, direkt vor unserer Nase.

    Man muss nur genau hinschauen.

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