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    Der Drei-Talsperren-Marathon: Von einem, der auszog, die Berge zu bezwingen

    Lesezeit: ca. 11 Minuten

    Das Leben als Erwachsener ist ja manchmal schon ein bisschen zu erwachsen. Etwas zu machen, von dem man vorher so gar nicht weiß, wie es wohl wird, ist da absolut essentiell. Und was ist da besser als etwas, von dem man nicht mal ganz genau weiß, ob man es überhaupt schafft.

    Wie wär’s mit nem Marathon?

    Die Idee, meinen ersten Marathon zu laufen, fiel relativ spontan. Ich glaube, ich hab damals einfach nur ein bisschen nach interessanten Läufen gestöbert. So ganz grundsätzlich also. Zu dem Zeitpunkt stand eigentlich bereits fest (nur wusste ich es da noch nicht):

    Ich will einen Marathon laufen.

    Das war im März 2019. Bis zum Marathon hatte ich also noch gut n halbes Jahr Zeit. Reicht. Das Jahr lief bis dahin gut. Die CED war ruhig und passend zum Frühjahr war ich durch die Anmeldung jetzt so richtig angefixt. Ich wollte eine besondere Herausforderung und hab sie gefunden.

    Der Hamburg Marathon ist hier direkt um die Ecke. Und das ist ja schon eher ne große Nummer. Oder Berlin. Aber irgendwie finde ich bei den großen Veranstaltungen ja bereits den Anmeldeprozess total nervig. Ich weiß dann doch lieber direkt, ob ich mich auf den Start freuen kann und nicht, ob mein Name in einigen Monaten zu einen Höchstpreis bei einer Lotterie gezogen wird. Oder möglicherweise eben auch nicht.

    Aber so mag jeder ja unterschiedliche Sachen. Dadurch gibt es aber eben auch echte Marathon-Perlen, die es zu entdecken und erlaufen gibt. Und hey, ab und zu sollte man sich auch mal in ein Abenteuer stürzen.

    Hitze. Eis. Berge. Ja.

    Beim Stöbern bin ich auf so viele coole und außergewöhnliche Läufe gestoßen, dass ich am liebsten sofort meine Schuhe angezogen hätte und los gelaufen wär. Ich lese und lese und schon währenddessen ist das Gefühl, dabei sein zu wollen, riesig.

    Es geht im Leben doch darum, etwas zu erleben. Was hast du denn von nem Haufen Zeug, wenn du in der anderen Hand keine Erlebnisse und schönen Erinnerungen hast. Ja nix eben. Die Erinnerung daran, seine ganze Zeit damit verbracht zu haben, möglichst viel Geld zu verdienen, ist jetzt auch nichts, womit man angeben kann. Oder sollte.

    Auf was hätte ich denn so richtig Bock? Ohne zu schauen, wie realistisch, weil vielleicht am anderen Ende der Welt. Keine Bucket List. Einfach nur schöne Vorstellungen.

    Da ist zum Beispiel der Marathon des Alpes Maritimes von Nizza nach Cannes. Die Strecke hatte mich sofort. Einfach fantastisch. Ganz weit vorn dabei ist auch der Brüder-Grimm-Lauf. 5 Etappen in 3 Tagen klingt schon richtig cool. Und für mich als Sonnenjunkie klingt der Wüstenlauf in Petra nach einer ganz besonderen Herausforderung.

    Ich glaube, mein absoluter Premium-Wunsch ist aber der New York City Marathon. 2012, also noch bevor ich überhaupt mit dem Laufen begonnen hab, war ich eher durch Zufall für einige Tage in New York City – ich hatte einen Fotowettbewerb gewonnen. Und war auf der Stelle begeistert. Diese Stadt hat in der kurzen Zeit wirklich einen ganz besonderen Eindruck bei mir hinterlassen. Und New York City ist wahrscheinlich die einzige Stadt, in der ich mich nicht verlaufen hab. Ich würde gern noch einmal dahin zurückkehren und all die Ecken, die mir in Erinnerung sind, noch einmal sehen. Und wie ginge das besser als zu laufen?

    Apropos Hitze. Ich liebe es ja, in der Hitze zu laufen. Am liebsten im Sommer. Mittags in der Sonne. Das ist echt das Beste. Kälte ist ok. Nicht mein Liebling, aber im Winter ist’s auch schön. Eine ganz eigene Welt.

    Bergauf ist immer ein zweischneidiges Schwert. Einerseits wie gemacht dafür, um so richtig schön fluchen zu können. Einen Berg zu bezwingen ist aber eben schon auch geil und auf jeden Fall eine Herausforderung. Gerade, wenn man aus’m Norden kommt und der höchste „Berg“ hier ganze 35 Meter hat.

    Running up that hill.

    Welcher Marathon hat mich denn jetzt so sehr gepackt, dass es unbedingt mein Erster werden sollte? Bergauf geht’s. Cool. Die Landschaft ist auch schön. Ausgezeichnet. Ein kleiner Verein als Veranstalter? Perfekt. Ich bin dabei.

    „Dieser Erzgebirgsmarathon ist einer der schönsten und auch schwersten Landschaftsläufe Deutschlands, wahrscheinlich aber der härteste Marathon Sachsens.“

    Diese Beschreibung hat mich direkt gecatched. Und es war klar: Da will ich hin.

    Die Reise geht nach Eibenstock ins Erzgebirge zum Drei-Talsperren-Marathon. Ich muss das erstmal googlen. Im Erzgebirge war ich noch nie. Aber was wäre besser, als es auf diese Weise kennenzulernen.

    Ganz begeistert stöbere ich weiter. Und sehe, dass sich jedes Jahr nur so um die 100 Teilnehmer anmelden. Ich überlege kurz warum. Und melde mich an.

    2019 gab es 110 Startende. Und 97 Finisher. Das ist eine Quote von 88%. Ob beim Marathon in Hamburg oder Berlin auch nur 88% der Startenden ins Ziel kommen? Keine Ahnung. Der Gedanke daran, dass es besonders hart werden könnte, ist aber grad die größte Motivation.

    Fast 1.000 Meter bergauf.

    Gefühlt läuft es in meinem Kopf auf das Duell Mann vs. Berg hinaus. Und der festen Überzeugung, dass ich mich bestimmt nicht von einem Gebirge unterkriegen lasse. Mein Training hat sich im Grunde auch gar nicht so sehr verändert. Bisher laufe ich normalerweise immer zwischen 10 und 25 Kilometer. Für die Vorbereitung hab ich nun einen 30er und einen 35er eingebaut. Sollte reichen. Die waren norddeutsch bedingt zwar flach, aber das wird schon. Positiv denken ne.

    Es ging von Anfang an bergauf

    Den 35er hab ich mit meinem Laufbuddy S. aus Kopenhagen gemacht. Mit ihr läuft auch die GPS-Challenge. Sie war zu der Zeit in Stade und wir sind die Generalprobe im Juni kurzentschlossen zusammen gelaufen. So weit sind wir beide zuvor noch nie gelaufen und es wurde unerwartet ein echtes Abenteuer.

    Eine gute Strategie ist wichtig

    Was wir beide erst nach einiger Zeit festgestellt haben, dann aber ganz witzig fanden: S. und ich haben uns unabhängig voneinander für unsere ersten Marathons angemeldet. Sie in Oslo, ich im Erzgebirge. Und so unwahrscheinlich es bei 365 Tagen im Jahr war, fanden beide Läufe am genau selben Tag zur selben Zeit statt. Wir konnten also über 1.000 Kilometer voneinander entfernt gemeinsam laufen. Ich hab zwischendurch daran gedacht, wie es ihr wohl gerade geht und war gespannt, was sie hinterher alles erzählen konnte.

    3…2…1…

    Am 21. September isses dann soweit. Endlich. Es ist Samstag, 10 Uhr und ich hab richtig Bock. Das Wetter für diese Woche ist zuerst eigentlich richtig schlecht angesagt. Der Freitag der Anreise ist auch wirklich nicht so schön. Aber dann am Samstag und Sonntag: Schönster Sonnenschein. Was will man mehr?

    Das Wetter war einfach perfekt

    T. begleitet mich. Sie ist auch mein persönlicher Verpflegungspunkt. Während ich laufe, schaut sie sich wandernd die Gegend an und bei Kilometer 30 sollen sich unsere Wege kreuzen. Zu einer vorher vereinbarten Zeit am vereinbarten Ort zu sein, hat als Motivation auch ne ganz eigene Art von Dynamik.

    Zum Start geht’s 2 Runden auf die Bahn des Sportvereins und dann wird man auf die Strecke geleitet. Es geht aus dem Ort kurz n Stück bergab und dann zum Start direkt ca. 6 oder 7 Kilometer rund 300 Meter bergauf. Ein passender Einstieg, da weiß man gleich, auf was man sich noch freuen kann.

    Das Wort bergauf fällt heute übrigens häufiger, da es gefühlt eigentlich immer bergauf geht. Halt manchmal steiler und manchmal weniger steil.

    Willkommen bei Dir selbst.

    Einen Pulk, in dem man startet oder auf der Strecke mitläuft gibt’s übrigens nicht. Oder überhaupt andere Läufer sieht man wirklich nur vereinzelt. Alle rund 100 Startenden verteilen sich schnell über die Strecke, so dass man die meiste Zeit mit sich allein ist.

    Ich glaub, das ist nicht jedermanns Sache, aber mir gefällt es. Man ist auf der Strecke schon ziemlich bei sich. Man sollte sich häufiger die Zeit nehmen, um auch mal ganz bei sich zu sein. Keine Ablenkung. Kein Handy. Kein Insta. Nichts. Nur Du, die Strecke und viele Stunden Zeit. Man kann nicht vor sich weglaufen also läuft man lieber mit sich zusammen. Dann ist man auch nie allein.

    Die Zuschauer an der Strecke sind übrigens klasse. Gefühlt ist in den Orten und an den Talsperren von Eibenstock, Carlsfeld und Sosa jeder Mensch auf der Straße und feuert begeisternd alle an. Ich glaub, das ist einer der Gründe, warum ich Veranstaltungen von kleinen Vereinen besonders mag. Da steckt noch so viel aufrichtiges Engagement drin.

    So laufe ich Kilometer für Kilometer und schaue mir alles um mich herum an. Einige Kinder haben am Straßenrand vor’m Haus einen kleinen Flohmarkt aufgebaut. Leider habe ich keine Zeit zum stöbern. Nächstes Mal.

    Kilometer 14. Eine Wespe sticht mich in den Fuß.

    Was soll n das jetzt? Ich bin grad in den Wald abgebogen und merke, das irgendetwas an meinem linken Fuß kitzelt. Es ist eine Wespe. Sie kitzelt dann auch nicht mehr lange, sondern sticht im nächsten Moment direkt zu. Wie unpassend, so mitten im Wald und ganz allein. Ich nehme mir ca. 10 Sekunden Zeit und checke meine Optionen.

    Option 1: Aufgeben und jammern. Option 2: Weiterlaufen.

    Da Aufgeben nicht in Frage kommt, entferne ich die Wespe ganz vorsichtig (sie hat es übrigens, genau wie ich, überlebt) und beschließe, in den nächsten Stunden einfach nicht an den Stich zu denken. Der Geist besiegt den Körper.

    Die Einstichstelle sieht man übrigens heute, nach bald 2 Jahren, immernoch als kleinen Punkt am Fuß. Manche Menschen lassen sich nach ihrem ersten Marathon als Erinnerung die Strecke oder das Logo tätowieren. Ich werde vermutlich für immer diesen kleinen unscheinbaren Punkt haben, den sonst niemand wahrnimmt. Und immer, wenn ich ihn sehe, erinnert er mich daran, dass es sich lohnt, nicht aufzugeben. Es geht immer weiter.

    Das Spezialrezept.

    Genau. Ein Spezialrezept. Auf der Strecke nutze ich die Verpflegungsposten, die immer mal wieder auftauchen, um zwischendurch mal n Schluck zu trinken. Mein persönlicher Verpflegungsposten wartet ja nach 30 Kilometern auf mich.

    Vor dem Start habe ich mir eine Spezialmischung aus Energydrink und n bisschen Salz gemacht. Ich fand die Idee dieser Kombination zu diesem Zeitpunkt wirklich gut. Und so steht T. bei Kilometer 30 tatsächlich bereit und gibt mir meine Flasche. Einige Kilometer weiter trinke erwartungsfroh mein Wundermittel.

    Es ist kotzeklig. Selten hab ich etwas getrunken, das so eklig war. Es vereint alles Schlechte in einer Flasche. Und es deckt nicht nur das Bedürfnis nach Zucker und Salz, sondern auch noch das Bedürfnis, sich direkt übergeben zu wollen. Wie praktisch. Ich habe es scheinbar mit dem Salz etwas übertrieben. T. sagte noch, eine Messerspitze reicht. Aber da war der halbe Teelöffel schon in der Flasche.

    In der Hoffnung, dass es hoffentlich wenigstens ein bisschen seinen Zweck erfüllt, nippe ich noch zwei drei Mal daran. Nach der halben Flasche beschließe ich, dass es eigentlich ja auch gar nicht so schlimm ist, grad einfach nichts zu trinken.

    Die berüchtigten letzten 7 Kilometer.

    Und zum Finale geht es: Genau, wieder bergauf. Ich glaube, mich zu erinnern, dass am tiefsten Punkt der Strecke sogar ein Schild steht und einen darauf hinweist, dass es bis zum Ziel jetzt nur noch hoch geht. Das ist wirklich umgekehrte Motivation. Spätestens an dieser Stelle lernt man, die Zähne zusammen zu beißen. Auf den letzten Kilometern geht es nochmal mehr als 150 Meter nach oben.

    Mittlerweile spüre ich die letzten Stunden langsam im Körper. Bis hierhin hab ich schon rund 750 Höhenmeter in den Beinen. Und die Beine werden langsam müde. Ab und zu versucht sich auch ein Krampf anzuschleichen. Das bekomme ich aber gut in den Griff. Die Aussicht, das Erzgebirge zu bezwingen ist jetzt stärker als die Müdigkeit. Es gibt ja tausend Motivationssprüche, jedoch muss ich grad jetzt an diesen Einen denken. Er wird quasi zu meinem Mantra.

    Und so laufe ich weiter. Kilometer für Kilometer. Ich laufe an Anderen auf der Strecke vorbei und werde von wieder Anderen überholt. An manchen Stellen kreuzen sich die Laufenden und die Mountainbiker. Und es ist ein bisschen wie in einem Bienenstock. Gefühlt kommen aus allen Richtungen Menschen und alle wollen nur nach Haus. In den Gesichtern kann ich die Erschöpfung sehen und vermutlich sehe ich genauso aus.

    Das Ziel kommt mit jedem Schritt näher und am Straßenrand in Eibenstock stehen die Anfeuernden wieder bereit, um alle Laufenden ein letztes Mal zu unterstützen und die letzten Meter zu begleiten. Noch zwei oder drei Kurven vielleicht. Nach einem letzten Anstieg kann ich das Ziel sehen.

    Der Sprecher begrüßt jeden Laufenden vor mir auf der Ziellinie mit dem Namen. Als ich meinen Namen höre, weiß ich, dass ich geschafft hab. 42,284 Kilometer. Ich bin total erschöpft. Ich lege mich in die Sonne. Und bleibe dort für bestimmt 30 Minuten liegen. Mein Kopf ist grad genauso leer wie mein Körper. Es war ein echtes Erlebnis.

    Nicht lang überlegen.

    Würde ich den Drei-Talsperren-Marathon weiterempfehlen? Hundert Prozent. Wenn Ihr etwas erleben wollt, dann kauft Euch n Ticket und los geht’s. Es war ein richtig cooles Wochenende. Die 3 Talsperren sind schon beeindruckend und der Blick, wenn man beim Überqueren links und rechts schaut, ist wirklich etwas Besonderes.

    Ich finde, alles was man an Energie investiert, bekommt man auf der Strecke gefühlt doppelt wieder zurück. Der Verein, der die ganze Veranstaltung organisiert, hat das wirklich ganz ausgezeichnet gemacht. Es gibt so viele motivierte und begeisterte helfende Hände, die alle dazu beitragen, dass man diesen Marathon bestimmt nie vergisst.

    Made a friend today.

    Liebe Eibenstocker, ich muss gestehen, dass ich Wurzelrudi anfangs eher freundschaftlich abgeneigt war. Mein erster Gedanke war: wtf?!

    Das mag daran liegen, dass ich Maskottchen grundsätzlich eher skeptisch gegenüber stehe. Ich weiß gar nicht genau, warum das so ist. Die tun ja niemandem was und sind auch keine Horrorclowns. Ich mochte mich als Kind aber schon zu Fasching nicht so gern verkleiden. Wer weiß, vielleicht gibt’s da ja n Zusammenhang.

    Wurzelrudi war da erstmal keine Ausnahme. In den 3 Tagen hat er sich jedoch still und heimlich in mein Herz geschlichen. Er war an der Strecke und lächelte freundlich von Schildern unterwegs. Und spätestens am Sonntag, in Wurzelrudis Erlebniswelt, war’s dann vermutlich um mich geschehen.

    Vielleicht hat uns die gemeinsame harte Zeit auf der Strecke zusammengeschweißt. Man sagt ja, dass so etwas verbindet. Vielleicht hab ich unterwegs aber auch gemerkt, dass Dinge, die wir irgendwann mal blöd fanden, nicht für immer blöd bleiben müssen. Wenn ich das als Erkenntnis mitnehme, hast Du einen guten Job gemacht.

    Also Rudi, mach’s gut Kumpel. Vielleicht bis zum nächsten Mal.

    Und die Moral von der Geschicht:

    Online gibt’s Erlebnisse nicht. Das echte Leben findet offline statt.

    Geht raus und erlebt was. Am besten jetzt gleich. Werdet nass und dreckig. Verzweifelt und begeistert. Müde und erschöpft aber glücklich. Und freut Euch darüber. Zum Leben gehört unbedingt auch etwas zu erleben. Erlebnisse müssen nicht viel kosten. Oder am anderen Ende der Welt warten. Manchmal sind sie nur ein paar Schritte entfernt.

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